Freimaurerischer Zeitgeistflüchtling und weltoffener Globalisierungsskeptiker?

Ein Leser meines Blogs hat mich gefragt, warum ich mich derzeit als »freimaurerischen Zeitgeistflüchtling« und »weltoffenen Globalisierungsskeptiker« bezeichne. Gute Frage! Manchmal schreibt man ja doch Dinge, über die man selbst noch gar nicht so richtig nachgedacht hatte. Und erst beim Nachdenken über das Schnellhingeschriebene wird einem manches bewusst. Heute, am Tag, an dem die »Occupy Wall Street« Proteste von den USA auch auf Deutschland ‚überschwappen‘ sollen, wäre vielleicht ein passender Anlass, meine Antwort auf die Frage zu veröffentlichen!

Denn vielleicht interessiert ja meine ‚Selbsterkenntnis‘, wo ich mich momentan (Änderungen jederzeit vorbehalten) gesellschaftspolitisch verorten würde, noch andere Leser. Hier also meine derzeitige Positionsbestimmung aus meiner Antwortmail:

Ich bin zwar bestimmt auf der Höhe der Zeit, genieße sogar viele ihrer Vorzüge (vom elektrischen Licht, übers Internet, bis zum iPhone, iPad und iPod) – aber ich genieße es auch, die Loge als Ort zu haben, an dem ich auch mal bei Kerzenschein mit anderen zusammensitzen, altes Brauchtum und die direkte Kommunikation pflegen und der hektischen Zeit wenigstens für einen kurzen Moment der Ruhe und Besinnung entfliehen kann. Deswegen bezeichne ich mich auch als »Zeitgeistflüchtling«.

Was die »Weltoffenheit« angeht:

Ich bin der Überzeugung, dass die Menschen mehr gemein haben, als sie trennt (99,9% aller menschlichen Gene sollen ja übereinstimmen und nur 0,1% den Unterschied ausmachen). Im Sinne eines friedlichen Miteinanders ist es m. E. vielversprechender, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, anstatt auf Unterschieden herumzureiten. Trotzdem empfinde ich Vielfalt auch als Bereicherung. Weniger als Bedrohung. Deswegen halte ich mich also grundsätzlich für »weltoffen«.

Nun zur Globalisierung:

Wenn Globalisierung bedeutet, all das zu überwinden, was Menschen als trennend empfinden, auch Grenzen (jedenfalls sofern sie die Menschen beider(!) Seiten als hinderlich sehen), zusammen zu bringen, was zusammen gehören will(!), den Reichtum dieser Welt gerechter zu verteilen, dann kann ich mich sehr wohl mit dieser(!) Globalisierung anfreunden – auch im Wissen, das ich als Bürger eines wohlhabenden Staates womöglich künftig auf ein paar Dinge verzichten müsste.
Und jetzt (m)ein großes »ABER«:
Wenn Globalisierung bedeutet, dass die gierigsten Jäger dieser Welt nur ihr Revier vergrößern, um künftig noch mehr Beute machen zu können, dann kann ich durchaus verstehen, dass Menschen Grenzen nicht mehr als hinderlich, sondern als schützend empfinden, nicht mehr als Begrenzung ihrer Freiheit, sondern als Bollwerk.
Ich habe jedenfalls auch langsam den Eindruck, dass die bedrohliche Form der Globalisierung Überhand nimmt. Ob’s wirklich so ist, vermag ich nicht sicher zu sagen. Aber es fühlt sich gerade zumindest ein wenig so an. Und je mehr Menschen Angst vor einer ‚Globalisierung des Raubtierkapitalismus‘ haben, desto mehr muss diese Angst ernst genommen werden, die Angst und der Wunsch, in dieser Zeit des Umbruchs lieber Grenzen verteidigen, als niederreißen zu wollen.

Deswegen sehe ich mich also in der Summe als freimaurerischen »Zeitgeistflüchtling und weltoffenen Globalisierungsskeptiker« – ich glaube zwar, dass wir in einer Zeit nie dagewesener Möglichkeiten leben, freue mich aber, mich diesen komplexen Zusammenhängen in der Loge auch mal entziehen zu können. Ich glaube, dass Globalisierung grundsätzlich keine schlechte Idee ist, wenn sie die Welt freier und gerechter macht. Aber vieles von dem, was inzwischen aus dieser Idee gemacht wurde und wird, kann und will ich nicht mehr unterstützen. Und ich bin froh und stolz, dass es sogar Menschen gibt, die all die Freiheiten und Rechte, die auch Freimaurer einst hart erkämpft haben, nun gegen die Menschen verteidigen, die die Freiheiten und Rechte auf Kosten anderer nur zu ihrem persönlichen Vorteil missbrauchen wollen.

Ich finde deshalb gerade die Devise »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« auch so gelungen. Freiheit ist ’ne tolle Sache. Gleichheit eine gute Idee. Aber wenn beides nicht im Geiste der Brüderlichkeit (sagen wir heute vielleicht besser »Mitmenschlichkeit«) steht, dann kann auch Freiheits- und Gleichheitswahn groteske Züge annehmen.

Und? Wo steht Ihr zurzeit?