Laut den Alten Pflichten von 1723 sollten in Freimaurer-Logen Streitgespräche über Politik und Religion tabu sein. Jedem soll seine persönliche Überzeugung gelassen werden, damit Freimaurerei Menschen zusammenbringen kann, die sonst einander „ewig fremd“ geblieben wären.
Vor kurzem ist mir zufällig aufgefallen, wie gut dies anscheinend funktioniert:
Ich kenne viele meiner Brüder jetzt seit fast 15 Jahren, habe bei den meisten aber bis heute nur eine vage Ahnung, was sie beruflich machen, glauben oder wählen.
Erster Gedanke: Verdammt, wie peinlich! In einer Gemeinschaft, die sich im 21. Jahrhundert immer noch gerne (b)romantisch als Bruderschaft bezeichnet, sollte das doch eigentlich anders sein – oder?!
Aber je länger ich drüber nachdenke, desto mehr möchte ich eigentlich, dass das genau so bleibt. Denn es könnte tatsächlich ein Zeichen dafür sein, wie gut Freimaurerei in meinem Umfeld funktioniert.
Ist nicht im Alltag oft eine der ersten Fragen, die man in einer Gesprächsrunde gestellt bekommt: „Und was machst Du so?“ Wie viele Gespräche drehen sich um Berufliches? Wie flott wird Smalltalk politisch? Oft weiß man schneller, als einem lieb ist, was das Gegenüber beruflich macht, oder politisch denkt. Schubladendenken setzt ein, Fronten bilden, Meinungen verhärten sich. Und schon sieht man den Mensch vor lauter Grünen, Roten, Schwarzsehern, Alternativwählern, Bankstern, Spießern, Kreativlingen, Schlecht- und Gutmenschen nicht mehr.
In meinem freimaurerischen Umfeld spielt es für mich offenbar keine Rolle, welchem Beruf meine Brüder nachgehen. Sonst hätte ich danach gefragt (bzw. mir die Antwort gemerkt), einen Blick ins Mitgliederverzeichnis geworfen, gegoogelt.
Was viele meiner Brüder beruflich machen, davon habe ich – wenn überhaupt – nur eine Ahnung (schon eher glaube ich zu wissen, was meine Brüder als ihre Berufung ansehen, was sie im Leben antreibt). Und ich möchte eigentlich erst Recht nicht wissen, welche Parteien meine Brüder wählen.
Das mag vielleicht oberflächlich sein, naiv. Aber in einer Zeit, in der wieder viel schwarz-weiß gemalt und das Leben durchpolitisiert wird, aus Nachbarn über Nacht Fremde und aus Freunden plötzlich Feinde werden, bin ich froh einen Ort zu haben, an dem ich Menschen noch als Mensch begegnen kann.
Und wenn ich dann irgendwann doch mal erfahre, welche Partei mein Bruder wählt, womit er seine Brötchen verdient, möchte ich auch weiterhin überrascht sein und denken können:
Hätte ich DAS vorher gewusst…
dann hätte ich womöglich einen achtenswerten Menschen weniger kennengelernt.