275-Jahr-Feierlichkeiten der deutschen Freimaurerei – ein Wiener wundert sich: „Ja, dürfen’s denn das?“

Fest-Arbeit der Freimaurer im Hamburger Michel

Bei Ausbruch der Märzrevolution 1848 soll sich in Wien folgende Szene zugetragen haben: Kaiser Ferdinand betrachtet mit seinem Kanzler Fürst Metternich von einem Fenster der Hofburg aus eine große aufgebrachte Menschenmenge. Die in unserer kollektiven Erinnerung leicht vertrottelte Majestät fragt Metternich in nasalem Schönbrunnerdeutsch: „Sagn’s Fürst, was mach’n denn all die viel’n Leut‘ da? Die san so laut!“ Metternich antwortet: „Die machen a Revolution, Majestät.“ Darauf der Kaiser erstaunt: „Ja, dürfen’s denn das?“

Das fiel mir ein, als ich vor der Hamburger Michaeliskirche den ‚Aufmarsch‘ der 1.700 Brüder sah, und wie diese dann die Kirche bei einer festlichen Jubiläumsarbeit bis fast auf den letzten Platz füllten. Undenkbar bei uns im katholisch grundierten Österreich!
Undenkbar, ein masonisches Fest in einer Kirche, und dann auch noch in der Hauptkirche der Stadt! Undenkbar und von den österreichischen Freimaurern auch gar nicht gewollt. So aber geschehen Ende September 2012 im protestantischen Norden.

Der ‚Michel‘ wie die Hamburger liebevoll sagen, so wie wir unseren Wiener Dom ‚Steffl‘ nennen, gilt als die bedeutendste Barockkirche Norddeutschlands. „Gab es Proteste“, fragte ich den Organisten, einen ‚Nicht-Bruder‘, der während der Arbeit die große Orgel spielte: „Nein, nur ein paar Bedenken, weil die Kirche einen Tag lang für Besucher gesperrt werden musste.“ Alle Achtung! Auch das undenkbar in Wien.

Was mich sonst noch überraschte: Der sozialdemokratische Bürgermeister und sein konservativer Vorgänger, beide ‚Nicht-Maurer‘, waren die Schirmherren des Jubiläums. Und die Brüder präsentierten sich selbstbewusst mit einem nicht zu übersehenden Informationsstand im Zentrum der Stadt; ebenso mit einer Ausstellung im Rathaus und einer in der Handelskammer sowie mehreren Presseaktionen in den Wochen und Monaten davor.

Ein so energischer Auftritt also, wie er bei uns ausgeschlossen wäre: Diese öffentliche Selbstdarstellung! Und vom Dom gar nicht zu reden! Schließlich ist die österreichische Freimaurerei für ihre hoch entwickelte Diskretion nach außen bekannt. Kein Wunder bei ihrer Geschichte im 18. und im 19. Jahrhundert: Konnten sich die Freimaurer im preußischen Norddeutschland des herrscherhäuslichen Wohlwollens erfreuen, wurden sie im katholischen Habsburgerreich über ein Jahrhundert lang verboten. So was wirkt nach: bis heute.

Mehr: Bilder der Feierlichkeiten

Veröffentlicht von ›Rudi Rabe‹

»Rudi Rabe« ist das Pseudonym eines Freimaurers und bekannten Wiener Journalisten im Unruhestand, Jahrgang 1943. Interessensgebiete: Geschichte, speziell die der Freimaurerei und »Menschen« – insbesondere solche anderer Kulturen.