Die aktuelle Lage verstört mich. Selten habe ich mich so gelähmt gefühlt. So hin- und hergerissen zwischen Mitleid, Schrecken, Scham, den eigenen subtilen (Ur-)ängsten, Vorurteilen, widersprüchlichen »Fakten« und den Fragen, was mit der Welt und den Menschen nur los ist, wie’s so weit kommen konnte, wie’s weitergehen und wo das alles noch hinführen soll. Über allem das Gefühl, dass es so jedenfalls nicht lange weitergehen kann.
Es scheint mir oft, als dürfe es im Moment mal wieder nur schwarz/weiß geben, dafür oder dagegen, links oder rechts. Ohne Abstufungen. Ohne goldene Mitte. Und als würde an all denen, die eigentlich irgendwo in der Mitte stehen, von beiden Seiten gezerrt. Bzw. als würden die, die zwischen den Lagern stehen, schon wegen der kleinsten vermeintlich verdächtigen Äußerung gleich reflexartig von der einen Seite aus der Mitte heraus auf die andere Seite geschoben werden. Gezwungen, sich zu »entscheiden« oder lieber stumm zu bleiben. Die einen appellieren hauptsächlich an die vermeintliche Vernunft, die anderen ans Gewissen. Und dann? »Bauch sagt zu Kopf ja, doch Kopf sagt zu Bauch nein, …« (um mal aus dem aktuellen Chart-Hit von Mark Forster zu zitieren).
Lange habe ich mich gefragt, was wohl die richtigen Worte in einem Freimaurer-Blog sein könnten. Ich dachte, dass die ganze Lage viel zu komplex wäre, um sie für mich einigermaßen auf den Punkt bringen zu können. Aber manchmal sieht man auch den Wald vor lauter Bäumen nicht, steht sich selbst im Weg. Das durfte ich jetzt durch einen Blog-Beitrag von FrauMaurer feststellen. Es ist nämlich vielleicht viel leichter, als gedacht. So lange man sich (woran ja in unseren rituellen freimaurerischen Arbeiten eigentlich auch immer wieder erinnert wird) im Leben von Vernunft und Gewissen leiten lässt, statt nur von einem dieser symbolischen »inneren Aufseher«. Ich kann’s jetzt also endlich wie folgt mit »FrauMaurer« sagen:
»Wer ein Willkommensfest für die Menschen feiert, die hier angekommen sind, muss nicht hundertprozentig mit der Asylpolitik der Bundesregierung einverstanden sein, muss auch nicht dafür sein, dass künftig alle ohne Prüfung hierher kommen. Wer Flüchtlingen hilft, sich hier zurechtzufinden, wer eine Patenschaft und Begleitung übernimmt, kann trotzdem für Zuweisungs-Quoten sein oder für eine Beschleunigung der Asylverfahren oder für eine andere Einwanderungspolitik. Aber Hass auf Menschen, Brandsätze auf Häuser, Anschläge, Drohgebärden und Beschimpfungen – dazu dürfen wir nicht schweigen.«
(M)eine freimaurerische Herausforderung ist es, trotz allen Mitgefühls die Realität nicht aus den Augen zu verlieren – und trotz der Realität nicht das Mitgefühl. Einen kühlen Kopf zu bewahren und (trotzdem?) Mensch zu bleiben – auch in unmenschlichen Zeiten.
So einfach ist das.
Jedenfalls fürs Erste.
Und in der Theorie.
Schockstarre überwunden,
Sprache wiedergefunden.
Jetzt zur »Praxis«.
Danke, FrauMaurer! [Hier geht’s zum ganzen Blog-Beitrag]