Die Freimaurerei als solche hat sich eigentlich nie als Konkurrenz zu Religionen verstanden, eher im Gegenteil: In den sog. \u00bbAlten Pflichten\u00ab von 1723, einer Art Gr\u00fcndungsdokument der \u203amodernen\u2039 Freimaurerei, steht sogar, dass Freimaurer einen Glauben haben sollten, die Freimaurerei aber offen f\u00fcr Menschen aller Glaubensrichtungen ist:<\/p>\n \u00bbDer Freimaurer ist als solcher verpflichtet, dem Sittengesetz zu gehorchen; und wenn er die Kunst recht versteht, wird er weder ein engstirniger Gottesleugner, noch ein bindungsloser Freigeist sein. In alten Zeiten waren die Maurer in jedem Land zwar verpflichtet, der Religion anzugeh\u00f6ren, die in ihrem Lande oder Volke galt, heute jedoch h\u00e4lt man es f\u00fcr ratsamer, sie nur zu der Religion zu verpflichten, in der alle Menschen \u00dcbereinstimmen, und jedem seine besonderen \u00dcberzeugungen selbst zu belassen. Sie sollen also gute und redliche M\u00e4nner sein, von Ehre und Anstand, ohne R\u00fccksicht auf ihr Bekenntnis oder darauf, welche \u00dcberzeugungen sie sonst vertreten m\u00f6gen. So wird die Freimaurerei zu einer St\u00e4tte der Einigung und zu einem Mittel, wahre Freundschaft unter Menschen zu stiften, die einander sonst st\u00e4ndig fremd geblieben w\u00e4ren.\u00ab<\/p><\/blockquote>\n Auf den Punkt gebracht hat’s eigentlich um 1740 der Preu\u00dfen-K\u00f6nig, Staats-Reformer und Freimaurer Friedrich II.: \u00bbJeder soll nach seiner Fa\u00e7on selig werden.\u00ab<\/em><\/p>\n Das Verh\u00e4ltnis vieler f\u00fchrender Vertreter des Katholizismus zur Freimaurerei ist allerdings trotz (oder vielleicht gerade wegen) der freimaurerischen Toleranz bis heute kompliziert (s. Wikipedia<\/a>). Auch Kardinal Joseph Ratzinger, der sp\u00e4tere Papst Benedikt, hat daran seinen Anteil: Ratzinger hatte als Chef der Glaubenskongregation (zum \u203aSchutz der Kirche\u2039 vor \u203aabweichenden Meinungen\u2039) betont, dass katholische Freimaurer nach offizieller Lesart immer noch in \u00bbschwerer S\u00fcnde\u00ab leben.<\/p>\n Interessant ist nun, ob und wie sich auch der neue Papst irgendwann vielleicht zum Thema \u00e4u\u00dfert. In einem aktuellen Interview mit einem italienischen Journalisten und \u00fcberzeugten Linken scheint Franziskus n\u00e4mlich eine \u2013 ganz im Sinne der \u00bbAlten Pflichten\u00ab \u2013 deutlich entspanntere Sicht auf \u203aGott und die Welt\u2039 zu haben, als seine Vorg\u00e4nger:<\/p>\n Scalfari: Einige meiner Freunde glauben, dass Sie mich zum katholischen Glauben bekehren wollen.<\/p>\n <\/p>\n Papst Franziskus: Proselytentum (Anm.: Andersgl\u00e4ubige \u00fcberzeugen zu wollen) ist eine Riesendummheit, es hat gar keinen Sinn. Man muss sich kennenlernen, sich zuh\u00f6ren und das Wissen um die Welt, das uns umgibt, vermehren. Die Welt ist durchzogen von Stra\u00dfen, die uns voneinander entfernen oder die uns n\u00e4her zusammenbringen. Das Entscheidende aber ist, dass sie uns zum Guten hinf\u00fchren.<\/p>\n <\/p>\n Scalfari: Existiert nur eine Sicht des Guten? Und wer legt das fest?<\/p>\n <\/p>\n Papst Franziskus: Jeder von uns hat seine Sicht des Guten und auch des B\u00f6sen. Wir m\u00fcssen ihn dazu anregen, sich auf das zuzubewegen, was er als das Gute erkannt zu haben glaubt.<\/p>\n <\/p>\n Scalfari: Sie haben mir bereits in einem Brief geschrieben, dass das Gewissen eines jeden eigenst\u00e4ndig ist und jeder seinem eigenen Gewissen folgen soll. Ich halte das f\u00fcr eine der mutigsten Aussagen, die jemals von einem Papst ge\u00e4u\u00dfert wurden.<\/p>\n <\/p>\n Papst Franziskus: Ich wiederhole die Aussage hiermit. Jedem von uns wohnt eine Idee des Guten und des B\u00f6sen inne. Jeder steht vor der Wahl, dem Guten zu folgen und das B\u00f6se zu bek\u00e4mpfen, so wie er es wahrnimmt. Das w\u00fcrde schon gen\u00fcgen, um die Welt zu verbessern.<\/p><\/blockquote>\n So weit, so gut \u2013 f\u00fcr meinen Geschmack ist diese Vorstellung von Weltverbesserung aber doch noch etwas missverst\u00e4ndlich formuliert.<\/p>\n Denn es hat ja \u2013 wie Franziskus richtig feststellt \u2013 tats\u00e4chlich jeder (s)eine eigene Auffassung von \u203aGut\u2039 und \u203aB\u00f6se\u2039. Und so lange das der Fall ist, halte ich es f\u00fcr ein zweischneidiges Schwert, Menschen dazu zu ermuntern, ausschlie\u00dflich das eigene Gewissen als Ma\u00dfstab zu nehmen, um \u00bbdem Guten zu folgen\u00ab und \u00bbdas B\u00f6se zu bek\u00e4mpfen\u00ab. Wobei eigentlich nur letzteres das Problem ist: Zu schnell glauben einige wieder, dem (aus ihrer Sicht) Guten dadurch dienen zu k\u00f6nnen, in dem sie \u203adas B\u00f6se\u2039 im Andern bek\u00e4mpfen.<\/p>\n Das aber wird vermutlich gar nicht das sein, was Franziskus gemeint hat. Sonst h\u00e4tte er wohl kaum \u00bbProselytentum\u00ab als \u00bbRiesendummheit\u00ab bezeichnet und die Wichtigkeit des eigenen Gewissens als Richtschnur betont. Nur: Was er vermutlich wirklich meinte, scheint mir im freimaurerischen Konzept von \u203aWelt- durch Selbst-Verbesserung\u2039 doch etwas deutlicher herausgearbeitet:<\/p>\n Auch die Freimaurerei betont das Gewissen, das die Br\u00fcder als eine Art \u203ainnerer Aufseher\u2039 durchs Leben leiten soll. Dem Gewissen zur Seite steht in der Freimaurerei allerdings gleichberechtigt noch ein \u203azweiter Aufseher\u2039: Die Vernunft \u2013 und als oberstes Gebot dieser: Toleranz \u2013 f\u00fcr ein friedlicheres Miteinander!<\/p>\n Vernunft und Gewissen sollten sich also die Waage halten. In der Freimaurerei geht es n\u00e4mlich nicht darum, f\u00fcr sich das Gute zu erkennen, um dann das B\u00f6se im Anderen zu bek\u00e4mpfen, sondern darum, sich und der Welt dadurch etwas Gutes zu tun, in dem man das f\u00fcr sich Schlechte in sich selbst \u203abek\u00e4mpft\u2039 (\u00bbEin Freimaurer ist ein freier Mann, der seine Neigungen zu \u00fcberwinden, seine Begierden zu m\u00e4\u00dfigen und seinen Willen den Gesetzen der Vernunft zu unterweisen wei\u00df.\u00ab).<\/p>\n Das eben ist die sprichw\u00f6rtliche freimaurerische \u00bbArbeit am rauen Stein\u00ab, an den Macken, Ecken und Kanten der eigenen(!) unvollkommenen Pers\u00f6nlichkeit, die sich dann durch Arbeit an sich selbst harmonischer ins Miteinander einf\u00fcgen soll \u2013 wie ein kubischer Stein ins Mauerwerk.<\/p>\n Doch zur\u00fcck zum bemerkenswerten Franziskus-Interview (das \u00fcbrigens eigentlich weniger ein Interview zu sein scheint, als mehr ein Gespr\u00e4ch, das von gegenseitigem Respekt und Neugierde gepr\u00e4gt ist): Die Freimaurerei gilt deshalb vielen noch als vermeintlicher Kirchengegner, weil viele Freimaurer im 18. Jahrhundert im Sinne der Aufkl\u00e4rung f\u00fcr eine Trennung von Kirche und Staat gek\u00e4mpft haben. Auch zu diesem sog. \u00bbLaizismus\u00ab \u00e4u\u00dfert sich nun der Papst:<\/p>\n Franziskus: Wenn ich es richtig verstehe, sind Sie zwar nicht gl\u00e4ubig. Sie sind aber kein Kirchengegner. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen.<\/p>\n <\/p>\n Scalfari: Ich bin kein Kirchengegner, das ist richtig. Aber ich werde einer, wenn ich einem Kleriker \u00fcber den Weg laufe.<\/p>\n <\/p>\n Franziskus: Das passiert mir auch. Ich werde auch ein entschiedener Kirchengegner, wenn ich einem Kleriker gegen\u00fcberstehe. Der Klerikalismus (lt. Wikipedia \u00bbdas Bestreben, der Geistlichkeit einer Religion mehr Einfluss in einem Staat zu verschaffen\u00ab) d\u00fcrfte mit dem Christentum nichts zu tun haben.<\/p><\/blockquote>\n Franziskus bekennt sich also zum Laizismus \u2013 und stellt zu guter Letzt dann sogar noch indirekt klar, warum Freimaurerei eben tats\u00e4chlich eigentlich keine Religion sein kann:<\/p>\n Scalfari: Denken Sie, dass die Mystiker wichtig f\u00fcr die Kirche waren?<\/p>\n <\/p>\n Papst Franziskus: Sie waren fundamental. Eine Religion ohne Mystiker ist eine Philosophie.<\/p><\/blockquote>\n Das lesenswerte vollst\u00e4ndige Interview ist hier zu finden<\/a>.<\/p>\n![\"Francisco](\"http:\/\/commons.wikimedia.org\/wiki\/File%3AFrancisco_(20-03-2013).jpg\")
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