»Not und Elend…« – wie Freimaurerei »wirkt«

Hinz&Kunzt Cover

Ich werde oft gefragt, wie Freimaurerei »wirkt«. Nicht immer fällt mir sofort eine passende Antwort, ein greifbares Erlebnis oder Ergebnis ein. Es ist nicht leicht, zu beurteilen, wie einen die Arbeit am »rauen Stein« (das freimaurerische Symbol für die eigene Persönlichkeit mit ihren Macken, Ecken und Kanten) verändert.

Aber dann gibt es da auch immer wieder diese kurzen Momente, in denen man plötzlich merkt, wie Freimaurerei »wirkt«.

Heute beim Einkaufen zum Beispiel.

Innere Schweinehunde

Vorab: Ich bin beruflich viel unterwegs, reise vor allem per Zug. An manchen Bahnhöfen werde ich inzwischen mehrfach von verschiedenen Menschen »angeschnorrt«. Oft geht’s um Zigaretten, meist um Geld. Manche wollen einem auch nur was verkaufen.

Ich weiß nicht, warum, aber meine Reaktion ist in der Regel reflexartige Ablehnung. Ich kann’s nicht mal kontrollieren. Und hinterher ärgere mich fast immer über mich selbst. 50 Cent hätten mir wirklich nicht weh getan…

Vor meinem inneren Auge sehe ich dann meinen »2. Aufseher« (im freimaurerischen Ritual ein Symbol fürs Gewissen) den Kopf schütteln. Und im Ohr habe ich diesen markanten rituellen Schluss-Satz:

»Geht in die Welt und bewährt Euch als Freimaurer. Kehrt niemals der Not und dem Elend den Rücken…«

Jedes Mal nehme ich mir vor, beim nächsten Mal anders zu reagieren, mitfühlender zu handeln. Doch der Ablehnungsreflex sitzt tief. Vor allem, wenn ich mich überrumpelt fühle.

Steter Tropfen…

Jetzt aber zurück zu meinem heutigen Einkaufs-Erlebnis:

Ich habe ihn schon im Eingangsbereich des Ladens gesehen, den Verkäufer der örtlichen Obdachlosenzeitung.

Eigentlich ein tolles Projekt. 1.50 € für die Zeitung, 1.50 € für den obdachlosen Verkäufer. Aber als ich mir diese Zeitung das letzte Mal gekauft habe (lang, lang ist’s her), habe ich darin auch einen Artikel gelesen, über den ich mich sehr geärgert habe. Ein Text voller Vorurteile, Stereotype und Verschwörungstheorien. Ich habe die Zeitung nie wieder gekauft. Wegen eines einzigen Artikels. Bekloppt, oder?! Und eigentlich auch alles andere als freimaurerisch.

Als ich den Laden verlasse, renne ich dem Zeitungs-Verkäufer direkt in die Arme. Ich hatte ihn schon ganz vergessen und merke, wie sich innerlich sofort wieder etwas in mir sträubt: Alarm, Alarm, da will dir wieder einer was verkaufen…

Er hält mir das Cover vor die Nase. Es zeigt einen Obdachlosen mit Rauschebart und einem Ring (seinem »Glücksbringer«) an der Hand.

Ich muss an meinen Ring denken. Meinen Freimaurer-Ring. Und da ist er dann auch wieder. Dieser markante Satz: »Kehrt niemals der Not und dem Elend den Rücken« – hallo, 2. Aufseher… ja, ja, hast ja Recht…

Um’s kurz zu machen (und so bescheuert es klingt): Ich hab’s endlich mal wieder geschafft, eine Zeitung zu kaufen.

Eigentlich keine große Sache, im Grunde kaum erwähnenswert, fast peinlich, darüber zu schreiben. Immerhin reißen sich andere den Allerwertesten für die Welt auf und ich feiere hier gerade lumpige drei Euro. Nur drei Euro, aber eben auch ein Sieg über meinen inneren Schweinehund. Ein Sieg mithilfe des Werkzeugkastens der Freimaurerei: Meinem inneren Aufseher und dem »Ritual«. Steter Tropfen höhlt den Stein.

(Auch) so »wirkt« Freimaurerei.

Habt Ihr Ähnliches erlebt?

Wie reagiert Ihr in vergleichbaren Situationen und wie würdet Ihr gerne reagieren? Wie wirkt Freimaurerei bei Euch? Ich freue mich auf Eure Antworten. Hier im Kommentarbereich oder bei Facebook.

Raus aus der Schockstarre – Fremdenfeindlichkeit, Flüchtlingspolitik, Freimaurerei

Freimaurer, Winkel, Zirkel, rauer Stein

Die aktuelle Lage verstört mich. Selten habe ich mich so gelähmt gefühlt. So hin- und hergerissen zwischen Mitleid, Schrecken, Scham, den eigenen subtilen (Ur-)ängsten, Vorurteilen, widersprüchlichen »Fakten« und den Fragen, was mit der Welt und den Menschen nur los ist, wie’s so weit kommen konnte, wie’s weitergehen und wo das alles noch hinführen soll. Über allem das Gefühl, dass es so jedenfalls nicht lange weitergehen kann.

Es scheint mir oft, als dürfe es im Moment mal wieder nur schwarz/weiß geben, dafür oder dagegen, links oder rechts. Ohne Abstufungen. Ohne goldene Mitte. Und als würde an all denen, die eigentlich irgendwo in der Mitte stehen, von beiden Seiten gezerrt. Bzw. als würden die, die zwischen den Lagern stehen, schon wegen der kleinsten vermeintlich verdächtigen Äußerung gleich reflexartig von der einen Seite aus der Mitte heraus auf die andere Seite geschoben werden. Gezwungen, sich zu »entscheiden« oder lieber stumm zu bleiben. Die einen appellieren hauptsächlich an die vermeintliche Vernunft, die anderen ans Gewissen. Und dann? »Bauch sagt zu Kopf ja, doch Kopf sagt zu Bauch nein, …« (um mal aus dem aktuellen Chart-Hit von Mark Forster zu zitieren).

Lange habe ich mich gefragt, was wohl die richtigen Worte in einem Freimaurer-Blog sein könnten. Ich dachte, dass die ganze Lage viel zu komplex wäre, um sie für mich einigermaßen auf den Punkt bringen zu können. Aber manchmal sieht man auch den Wald vor lauter Bäumen nicht, steht sich selbst im Weg. Das durfte ich jetzt durch einen Blog-Beitrag von FrauMaurer feststellen. Es ist nämlich vielleicht viel leichter, als gedacht. So lange man sich (woran ja in unseren rituellen freimaurerischen Arbeiten eigentlich auch immer wieder erinnert wird) im Leben von Vernunft und Gewissen leiten lässt, statt nur von einem dieser symbolischen »inneren Aufseher«. Ich kann’s jetzt also endlich wie folgt mit »FrauMaurer« sagen:

»Wer ein Willkommensfest für die Menschen feiert, die hier angekommen sind, muss nicht hundertprozentig mit der Asylpolitik der Bundesregierung einverstanden sein, muss auch nicht dafür sein, dass künftig alle ohne Prüfung hierher kommen. Wer Flüchtlingen hilft, sich hier zurechtzufinden, wer eine Patenschaft und Begleitung übernimmt, kann trotzdem für Zuweisungs-Quoten sein oder für eine Beschleunigung der Asylverfahren oder für eine andere Einwanderungspolitik. Aber Hass auf Menschen, Brandsätze auf Häuser, Anschläge, Drohgebärden und Beschimpfungen – dazu dürfen wir nicht schweigen.«

(M)eine freimaurerische Herausforderung ist es, trotz allen Mitgefühls die Realität nicht aus den Augen zu verlieren – und trotz der Realität nicht das Mitgefühl. Einen kühlen Kopf zu bewahren und (trotzdem?) Mensch zu bleiben – auch in unmenschlichen Zeiten.
So einfach ist das.
Jedenfalls fürs Erste.
Und in der Theorie.
Schockstarre überwunden,
Sprache wiedergefunden.
Jetzt zur »Praxis«.
Danke, FrauMaurer! [Hier geht’s zum ganzen Blog-Beitrag]