Vom Freimaurer-Meister zum Zen-Schüler

Steine – zentrale Symbole in der Freimaurerei und im Zen

Hätte mir irgendwer vor einem Jahr prophezeit, dass ich irgendwann Spaß dran finde, anderthalb Stunden auf dem Boden sitzend schweigend eine Wand anzustarren – ich hätte denjenigen für komplett bescheuert erklärt.

Inzwischen mache ich das jede Woche.

Stein des Anstoßes war für mich im Grunde ein Vortrag von Thomas (Tom) Heine, Mitglied der Loge »Reuchlin«, Schüler von Zen-Meister Hinnerk Polenski und inzwischen sogar Leiter des »Daishin Zen Zendos« in Stuttgart. Tom empfand den Zen-Weg als Fortsetzung seines freimaurerischen Weges, wofür er in seinem Vortrag u. a. ein Zitat des berühmten Zen-Meisters Dogen (1200-1253) bemüht:

»Zen studieren, ist sich selbst studieren, sich selbst studieren bedeutet, sich selbst vergessen, sich selbst vergessen bedeutet, in Harmonie zu sein, mit allem, was uns umgibt.«

Auch in der Freimaurerei geht es um Selbsterkenntnis und Selbstüberwindung, um mit sich und der Welt in Einklang zu kommen. Zentrales Sinnbild ist in der Freimaurerei der raue Stein, das unvollkommene Selbst, an dem es zu Arbeiten gilt, damit es sich irgendwann – wie ein bearbeiteter kubischer Stein – harmonisch in den Bau eines besseren Miteinanders einfügt.

Als einen wesentlichen Unterschied zwischen Freimaurerei und Zen benennt Tom die freimaurerische Schwerpunktlegung auf die Vernunft – die im Zen seiner Meinung nach abgelehnt wird.

Ich komme bislang allerdings zu einem anderen Ergebnis – und zwar in zweierlei Hinsicht:

1.) Freimaurerei setzt gar nicht einseitig auf Vernunft, sondern auf ein Gleichgewicht von ›Herz und Hirn‹. Bei rituellen Zusammenkünften spielen diese beiden Kräfte sogar wortwörtlich eine wichtige Rolle in Form der sog. ›Aufseher‹ namens »Vernunft« und »Gewissen«, die einen durchs Leben leiten sollen.

2.) Zwar geht es im Zen scheinbar wirklich darum, den Kopf letztlich mal abschalten zu können – dies aber meiner Meinung nach eigentlich als eine Forderung der Vernunft bzw. aus logisch-nachvollziehbaren Gründen. Wie soll man denn auch sonst »sich selbst studieren«, so, wie es Dogen vor rund 800 Jahren gefordert hat, wenn nicht unter Beteiligung des Kopfes?

Auch die mit meiner freimaurerischen Lebenseinstellung in vielen Teilen vergleichbare »Zen-Haltung« erfordert Arbeit an sich selbst, am rauen Stein, dem eigenen unvollkommenen Sein. Und die Tipps für diese »Arbeit an sich selbst«, wie sie bspw. Leo Babauta regelmäßig in seinem bekannten Blog »Zen-Habits« gibt, klingen ebenfalls stets gut durchdacht und ziemlich vernünftig.

Ich würde also zusammenfassend eher sagen: Zen bringt einen letztlich über den Verstand dazu, selbigen ad absurdum zu führen, um zu einer anderen, einer tieferen, unverstellteren Sicht auf die Dinge zu kommen. Einer ›herzlicheren Sicht‹ – auf die eigentlich auch der freimaurerische Weg der sog. »Herzensbildung« abzielt und die auch Antoine de Saint Exupery – mindestens ein Bruder im Geiste – in seinem Buch »Der kleine Prinz« fordert:

»Das wirklich Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Nur mit dem Herzen sieht man gut.«

Heißt für mich also: Die Gemeinsamkeiten von Freimaurerei und Zen scheinen mir momentan noch größer, als Tom sie sieht. Und wenn man von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes »Zen« ausgeht, sind im Grunde sogar die rituellen Zusammenkünfte der Freimaurerei letztlich eine Art ›Zen‹ – was übersetzt schlicht »Versenkung« heißt.

Mir bedeuten am freimaurerischen Ritual jedenfalls die Minuten des Schweigens während der Musik und die kurze Zeit der Stille danach mit am meisten. Davon kann ich einfach nicht genug bekommen. Und deshalb habe ich mich inzwischen auch einer lockeren Zen-Gruppe angeschlossen und mich entschlossen, hier in meinem Freimaurer-Blog künftig auch ein paar Zen-Erfahrungen zu teilen. Freimaurer-Zen-Erfahrungen sozusagen. Denn im Zen ist ja sowieso schon »alles Eins«, während die Freimaurerei noch von »Einheit in Vielfalt« spricht. ;)

Wer mehr zum Thema lesen will, dem lege ich zum Einstieg Toms Vortrag ans Herz.