Achim Strassner (eigentlich Joachim Strassner) hat die »Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland« nachhaltig geprägt.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich ihn bei einer Hauptversammlung in Hagen kennengelernt habe. Ich meine, es wäre 2004 gewesen. Er stand auf dem Podium – in meiner Erinnerung mit lässigem Karo-Flanellhemd und Cargo-Hosen – und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Logenmeister für (mehr) Öffentlichkeitsarbeit zu begeistern. Damals kein einfacher Job. Es wurde sogar noch am Rande dieses Workshops darüber diskutiert, ob Logen überhaupt eine Website brauchen oder Öffentlichkeitsarbeit betreiben sollten.
Dieses Kapitel ist längst Geschichte. Der Orden ist im Netz, die Logen sind es auch und: manche Brüder bloggen sogar. ;) Achim Strassner hat seine Sache also offenbar ganz ordentlich gemacht. Und wurde wohl auch deshalb zum Landesgroßmeister gewählt. Einmal, zweimal, dreimal – hintereinander! Mehr geht nicht. Sagen die Statuten.
Aber anstatt nun die Füße hochzulegen (Achim Strassner ist heute 69 geworden!) hat er sich lieber der Wahl zum »Ordensmeister« gestellt. Nun also Ordensmeister. Puh.
Was treibt ihn an? Hätte er nichts »besseres« zu tun (er hat zwei Kinder, ist Radiologe, leidenschaftlicher Motorradfahrer und unternimmt gern ausgedehnte Touren mit seiner BMW), als sich nun sieben Jahre in diesem weiteren Ehrenamt für andere aufzuopfern? Wer ist dieser Mann, der mir auf die Bitte nach Fotos für dieses Interview u. a. auch eine Fotomontage von sich als Feuerwehrmann schickt?
Fragen über Fragen. Höchste Zeit also für ein Interview.
»Du kannst mich alles fragen…«
Achim, zunächst mal weit zurückgeblickt: Wann und wie bist Du überhaupt zur Freimaurerei gekommen?
Zur Freimaurerei bin ich im November 1974 gekommen. Sowohl mein Vater als auch mein Großvater waren Freimaurer. Dadurch gab es natürlich immer wieder Gespräche zum Thema. Mein Vater hat immer gesagt: Du kannst mich alles fragen, aber die Entscheidung, ob Du Freimaurer werden möchtest, musst Du selbst treffen. Ich habe sie dann getroffen.
Und was hat Dich an den Gesprächen mit Deinem Vater besonders überzeugt?
Er hat mir die Auswirkungen der Inhalte der Freimaurerei immer verständlich erklärt, mit Beispielen belegt und vor allen Dingen immer vorgelebt.
Du hast die Große Landesloge 3×3 Jahre als Landesgroßmeister geführt – was war Deine größte Herausforderung bzw. hat besonders viel Kraft gekostet?
Die ersten drei Jahre. Es gab eine große Unruhe im Orden, die zuerst einmal geklärt werden musste. Über die Gründe lässt sich viel diskutieren, aber diese ganzen, z. T. auch persönlichen Angriffe, haben mich damals manchmal sogar an der Freimaurerei zweifeln lassen. Es kam auch der Gedanke auf, auf das Amt des Landesgroßmeisters zu verzichten. Auf die Frage meiner Partnerin, was ich dann den Brüdern sagen würde, die darauf hofften, dass ich wieder Ordnung in den Orden bringe, fiel mir keine Antwort ein. Das war es dann mit der Überlegung, das Amt wieder nieder zu legen. Aber es waren zum Glück nur einige wenige Brüder, die damals aus einer sachlichen Meinungsverschiedenheit eine persönliche Sache gemacht haben.
Wie hast Du’s damals geschafft, trotzdem weiter zu arbeiten?
Die Gespräche mit den Brüdern, die Zunahme der Harmonie im Orden und das brüderliche Handeln haben geholfen. Die ersten Hauptversammlungen waren eine »Katastrophe«, von Mißtrauen geprägt. In den letzten Jahren war davon dann nichts mehr zu spüren. Es gab zwar auch immer wieder strittige Punkte. Die wurden aber alle in brüderlicher Diskussion gelöst. Und natürlich haben auch mein Vorstand, die Beamten und viele andere Brüder dabei geholfen, das es trotz der vielen Arbeit auch Freude gemacht hat.
100 Logen, 150.000 Kilometer
3.300 Mitglieder, heißt: 3.300 raue Steine. 3.300 Individuen, nicht wenige davon Individualisten, verstreut über ganz Deutschland – wie hält man das aus und wie dieses vielfältige »Bauwerk« zusammen?
Indem man sich mit den Brüdern zusammen- und auseinandersetzt, auf ihre Fragen reagiert und sie mit in die Entscheidungen einbezieht. In den meisten Fällen haben Diskussionen zu einem Konsens geführt. Andere Entscheidungen wurden zumindest akzeptiert, wenn sie auch mit einer nachvollziehbaren Begründung dargestellt wurden. Auch persönliche Anwesenheit vor Ort in den Logen schafft Vertrauen und klärt viele Fragen und Probleme.
Du hattest Dir vorgenommen, jede der rund 100 Ordenslogen mindestens einmal persönlich zu besuchen. Was schätzt Du: Wie viele Kilometer bist Du in den letzten Jahren gefahren?
Ich kann das nicht genau sagen. Aber alle Beförderungsmittel eingerechnet so ca. 150.000 Kilometer.
An welche ganz konkreten persönlichen Begegnungen und Momente denkst Du am liebsten zurück? Was hat Dich in Deinen 3×3 Jahren als Landesgroßmeister am meisten überrascht – im positiven und im negativen Sinne?
Im positiven Sinne: Die Erfahrung, dass, wenn man sich intensiv um die Brüder kümmert, daraus eine Bruderschaft wächst, die in den meisten Fällen Brüderlichkeit und Harmonie lebt. Und dass man viel zurück bekommt, wenn man die Brüder ausführlich informiert und Offenheit lebt. Im negativen: Die Erfahrung, dass sich nicht alle Brüder, die sich Brüder nennen, auch wirklich brüderlich verhalten. Auch in unserem Bund gibt es Mitglieder, die mehr Eigeninteressen als Gemeinschaft im Sinn haben. Man hatte mir das zwar immer wieder gesagt, aber glauben wollte ich das lange nicht. Aber das ist zum Glück Vergangenheit.
Freimaurerisches Ehrenamt als »Win-Win-Situation«
Neben der Arbeit für die Großloge – wieviel Zeit bleibt da noch für die Arbeit an den Macken, Ecken und Kanten des eigenen rauen Steins? Oder arbeitet man an seiner Persönlichkeit in einem Ehrenamt wie Deinem gleich ganz automatisch mit?
Genau das ist der Fall. In jeder Diskussion realisiert man auch eigene Macken, nicht nur bei nicht ganz optimalen Entscheidungen. Man wächst an seiner Aufgabe, auch an der Arbeit an der eigenen Person. Handlungsweisen der Brüder führen auch dazu, dass man seine eigenen Handlungsweisen hinterfragt und – wenn erforderlich – ändert. Mit Deinen Worten zu sprechen: Eine Win-Win-Situation.
Wie hast Du Dich in den neun Jahren im Amt als Landesgroßmeister als Mensch im freimaurerischen Sinne entwickelt? Was hast Du gelernt – über Dich und über die Freimaurerei?
Dass man immer weiter Lehrling ist, verpflichtet, an sich und seinen Fehlern zu arbeiten. Dazu kommt die Erkenntnis, dass das eine Arbeit ist, die nie aufhört. Wie ich mich als Mensch entwickelt habe, sollen andere beurteilen. Ich habe zumindest mein Möglichstes versucht, mich auch in diesem Sinne positiv weiter zu entwickeln.
Welchen Macken, Ecken und Kanten Deines rauen Steins widmest Du Dich jetzt neben Deinem neuen Ehrenamt als Ordensmeister?
Den allseits bekannten. Es gibt noch genug, an denen gearbeitet werden muss.
Und was hast Du Dir für Deine Arbeit am und im Orden als Ordensmeister auf die To-Do-Liste gesetzt?
Das Verständnis zu fördern, was es heißt, ein »Orden« zu sein. Die Inhalte der Rituale zu »zelebrieren«, damit sie uns faszinieren und zum Nachdenken anregen. Jede Tempelarbeit muss gelebt werden, damit sie ihre Wirkung entfaltet. Auch jetzt, nach über 40 Jahren fällt mir immer wieder beim Erleben der Rituale etwas auf, über das es sich nachzudenken lohnt. Und natürlich steht weiter die Nachwuchsgewinnung ganz oben auf meiner Liste, in die sich auch die Kapitelbrüder [Anm.: Brüder der Grade 7-10] mit einbringen müssen. Wichtig ist mir auch, die Verbindung zu den ausländischen Großlogen zu fördern und aufrecht zu erhalten und im Orden die Brüder, hier jetzt natürlich besonders die Kapitelbrüder zu unterstützen. Auch wenn ich sicherlich, wie ich mich kenne, die Verbindung zu den Johannis- und Andreaslogen [Grade 1-3 bzw. 4-6] aufrecht erhalten werde. Als Ordensmeister bin ich ja das Oberhaupt des gesamten Ordens.
Achim Strassner: »Wir können eine Perspektive geben, die sonst vielleicht fehlt«
Was ist in Deiner Zeit als Landesgroßmeister auf Deiner ganz persönlichen To-Do-Liste noch unerledigt geblieben?
Leider die Nachwuchsgewinnung, die sich zwar stabilisiert hat, aber noch lange nicht ausreichend zunimmt. Dazu der dringend nötige Umbau des Ordenshauses, der jetzt aber Formen annimmt.
Wo siehst Du die Freimaurerei in 30 Jahren, wo Deine Großloge und Lehrart? Was hat sich verändert?
Ich kann leider nicht in die Zukunft sehen, aber ich denke, dass sich die Freimaurerei weiter stabilisieren und auch weiter entwickeln wird. Und ich bin sicher, das gerade die christliche Freimaurerei eine sehr wichtige Institution ist. Der Glaube an unseren Obermeister [in der christlich orientierten Lehrart des »Freimaurerordens« die traditionelle freimaurerisch-symbolische Bezeichnung für Jesus Christus] im Hinblick auf unsere Entwicklung und Handlungsweise ist eine wichtige Richtschnur. Auch bin ich fest davon überzeugt, das wir Freimaurer durch unsere Lehre und Arbeitsweise den Menschen eine Perspektive geben können, die ihnen sonst vielleicht fehlt. Einer unserer Alt-Bundespräsidenten hat in einem Gespräch einmal gesagt: Gerade die Freimaurerei hat in unserer Gesellschaft eine ganz wichtige Position. Sie fragt zuerst, was man selbst zu einer positiven Veränderung beitragen kann, bevor man andere aufruft, etwas zu tun.
Und was sollte sich Deiner Meinung nach unbedingt in den nächsten 30 Jahren ändern?
Wir müssen nicht nur noch mehr sagen, dass wir Freimaurer sind sondern dies vor allen Dingen auch noch mehr leben. Sonst werden wir unglaubwürdig. Auch müssen wir Ordens-Freimaurer uns mit der Ordenslehre auseinandersetzen, um in der Lage zu sein, die an uns gestellten Fragen zur Ordensfreimaurerei zu beantworten. Und wir können und dürfen uns nicht hinsetzen und warten, bis uns jemand zufällig findet. Wir müssen uns in die Lage versetzen, gefunden werden zu können. Und wir müssen ehrlich mit uns selbst und gegenüber anderen bleiben, auch negative Aspekte nicht verdrängen oder verschweigen, sondern auch damit umzugehen lernen.
»Lebt nach diesen eigenen Erkenntnissen« – Achim Strassner
Mehr als 40 Jahre Freimaurer, neun Jahre Landesgroßmeister. Wenn Du an Deine bisherige Zeit zurückdenkst: Was ist der wichtigste Rat, den Du von Brüdern bekommen hast und was ist der wichtigste Rat, den Du Brüdern heute geben würdest?
Ich habe so viele gute Ratschläge von Brüdern bekommen, dass es mir schwer fällt, alle aufzuzählen. Aber den Rat, den ich meinen Brüdern immer gegeben habe und den ich auch weiterhin geben werde, ist der: Setzt euch mit der Ordenslehre auseinander, lasst sie nicht nur auf euch einrieseln sondern überlegt euch, was ihr für euch daraus machen könnt. Und lebt nach diesen euren eigenen Erkenntnissen.
Welches freimaurerische Symbol ist Dir in den letzten Jahren das wichtigste geworden und warum?
Eigentlich sind mir alle wichtig, weil jedes Symbol seine spezielle Bedeutung hat. Ganz wichtig ist mir aber das Vereinigungsband, dass die Brüder zusammenhalten soll und auf das man immer wieder hinweisen muss.
Da Freimaurerei immer auch das Besinnen auf die eigene Endlichkeit ist, lass uns zum Schluss des Interviews noch mal kurz gedanklich an Deinem Grabstein »arbeiten«: Welche Spuren, die Du – als Freimaurer und Mensch – hinterlassen hast, werden Dich überdauern? Was sollen Dir die Brüder später mal auf den »rauen Grabstein« meißeln?
Das überlasse ich denen, die darüber zu entscheiden haben. »Joachim Strassner, Freimaurer und Mensch« würde mir reichen.
Ohne »Doktor«?
Ohne Doktor. In der Freimaurerei haben Titel und Ehren nichts zu suchen.
Danke für das Interview.
Achim Strassner als »Bruder Feuerwehrmann«?
Als ich diesen Text für die Veröffentlichung vorbereite, fällt mir auf, dass ich etwas vergessen habe: Achim zu fragen, was es eigentlich mit der Feuerwehrmann-Fotomontage auf sich hat.
Egal. Das Interview muss jetzt raus. Ich hatte mir vorgenommen, es pünktlich zu Achims Geburtstag zu veröffentlichen.
Als ich meine Fragen und Achims Antworten Stück für Stück in meinen Blog übertrage, alles noch einmal durchgehe und mich frage, welches Bild und welche Überschrift ich wohl als Aufmacher nehme, muss ich schmunzeln:
U. a. dank intensivierter Öffentlichkeitsarbeit steigen die Mitgliederzahlen des Freimaurerordens wieder an. Und auch finanziell steht die Große Landesloge – trotz Herausforderungen wie der Erhaltung alter Logenhäuser – auf solidem Fundament. Erfolge, die eng mit Achims Zeit als Landesgroßmeister (und natürlich auch mit seinem Team) verknüpft sind.
Bis dahin war’s jedoch ein steiniger Weg. Vor allem die ersten Schritte scheinen holprig gewesen zu sein (»große Unruhe im Orden«, »die ersten Hauptversammlungen waren eine Katastrophe, von Misstrauen geprägt…«).
Wäre die Fotomontage nicht irgendwie passend?
Ich entscheide mich für das ungewöhnliche Bild als Aufmacher.
Hätte Achim Strassner am Anfang seiner Amtszeit nicht erst mal »Feuerwehrmann gespielt«… er wäre womöglich nur ein »Hüter der Asche« geworden. Stattdessen kann er nun mit seinen Mitstreitern die »Fackel der Ordensfreimaurerei« in die Zukunft tragen.
In diesem Sinne also:
Danke für alles, Achim.
Und happy Birthday, »Bruder Feuerwehrmann« ;)