Vor der Sommerpause habe ich über meine »Whatsappstinenz« bzw. einen möglichst maßvollen Umgang mit elektronischer Kommunikation als eine meiner ganz persönlichen freimaurerischen Schlussfolgerungen geschrieben. Jetzt, wo die Tage wieder kürzer werden, bin ich endlich dazu gekommen, die Reaktionen auf meinen Post zusammen zu tragen – anscheinend bin ich mit meiner Art ›angewandter Freimaurerei‹ in ›achtsamer Gesellschaft‹:
»Ich verzichte ebenfalls bewusst auf Whatsapp, weil es durch die kostenlose Kommunikation zu einem enormen Zeitfresser wird und der Informationsgehalt gering ist. Wichtige Infos sind die paar Cent einer SMS schon wert, so hab ich einen natürlichen Spamfilter.« schreibt Bruder Kolja in einer Facebook-Freimaurer-Gruppe.
Br. Daniel lebt ebenfalls inzwischen Whatsappstinent und will bald sogar noch weiter gehen: »(…) ich bin 30 und verzichte seit ca. zwei Monaten auf Whatsapp. Als ich einmal nach einer TA [»Tempel-Arbeit« = rituelle Zusammenkunft] auf mein Handy schaute und 58 neue Meldungen sah, da war’s für mich aus. (…) Ich bereite mich aktuell innerlich darauf vor, aus Facebook auszusteigen.«
Auf meine Nachfrage, warum er auch Facebook die Freundschaft kündigen will, antwortete Daniel, dass er sich inzwischen ständig dabei erwische, sogar auf der Toilette mit dem Smartphone auf Facebook unterwegs zu sein (»Als wäre mir kein Ort heilig und als könnte ich nicht mal ein paar Minuten Ruhe gebrauchen«). Und weiter: »Mich nervt, dass ich das Gefühl habe, etwas zu verpassen, wenn ich nicht reinschaue. Da bin ich schon in gewisser Weise süchtig.«
Dieses Gefühl kann Br. ›Gavri‹ nachvollziehen. Er nennt es »Lindenstraßen- oder GZSZ-Effekt«: »Man hat einfach Angst etwas zu verpassen und den Faden zu verlieren. Völlig egal, ob die letzten 10 Folgen langweilig waren oder nicht.«
Dass maßvoller Umgang mit Kommunikation nicht auf Whatsapp und Facebook beschränkt bleiben muss, daran erinnert Britta: »Ich finde es auch eine gute Übung, zu lernen, nicht ans Telefon zu gehen, weil man gerade nicht will oder mit anderen Dingen beschäftigt ist. Und auch finde ich es eine gute Übung, das Handy irgendwo liegen zu lassen (z. B. im Haus, wenn man im Garten ist) und sich nicht darum zu kümmern, wo es sein könnte, weil man es gerade nicht braucht.«
Diese (manchen vielleicht etwas radikal anmutende) Haltung wird Thomas vermutlich nachvollziehen können. Er hat nämlich offenbar sogar beruflich mit den Folgen ständiger Erreichbarkeit zu tun und schreibt im Kommentarbereich meines Blogs zum Artikel:
»Dein sehr persönlicher Kommentar zeigt, wie wichtig ein bewusster Umgang mit den ›Neuen Medien‹ ist. Aus meiner Praxis heraus weiß ich, welche bitteren Konsequenzen das ›All-Erreichbarsein – Wollen und / oder – Müssen‹ haben kann. Vielen ist nicht mehr bewusst, dass sie ein Recht auf Nichterreichbarkeit haben. Dein Bezug zur Waage ist ein gutes Bild. Es fordert uns nicht nur zur Mäßigkeit auf, sondern auch im Gleichgewicht zu bleiben. Im Gleichgewicht der Möglichkeiten, als auch im Gleichgewicht mit mir selbst. Und das heißt eben auch Handy, Laptop, Telefon mal auszuschalten.«
Ein Recht auf Nichterreichbarkeit. Schön formuliert. Wenigstens bei unseren Logen-Treffen machen wir traditionell davon Gebrauch. Vor dem geistigen Abschalten während des Rituals kommt immer erst das Ausschalten des Handys/Smartphones.
Auch Br. Alfred hat mein Text scheinbar zu denken gegeben: »(…) erst jetzt nach dem Lesen (…) werde ich umdenken, da mir gerade auffällt das ich meine Freizeit massiv beschränke. Ich vermisse plötzlich meine Freizeit, etwas das mir nie auffiel. Ich werde mich auch umstellen – Danke für den Anstoß!«
Und als wäre das noch nicht genug Rückenwind für achtsame Kommunikation und maßvolle Erreichbarkeit scheint sich inzwischen auch unter jungen Menschen ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wieviel man in der realen Welt verpassen kann, wenn man zu viel Zeit in der virtuellen verbringt. Beispiel:
Das bemerkenswerte Video des jungen britischen Dichters Gary Turk (s. o.) mit inzwischen fast 50 Millionen Youtube-Klicks. Es beginnt mit den Worten: »Ich habe 422 Freunde, trotzdem bin ich einsam« – sehenswert, aber auch diskussionswürdig. Denn natürlich haben soziale Medien auch gute Seiten. Nur sollte man eben bei all dem Scheinwerferlicht, das seit Jahren auf Facebook, Twitter und Co. fällt, nicht vergessen: Wo Licht ist, ist auch Schatten.
Ein freimaurerisch-versöhnliches Schlusswort zur Sache war für mich das Statement von Bruder Jens Rusch:
»Ich halte es mit Gottfried Benn, der bei der Einführung des dritten Fernsehprogrammes (Nation in Aufruhr: ›Die Deutschen werden nicht mehr Arbeiten, nur noch Fernsehen – kein Mensch verkraftet drei Fernsehprogramme‹) gelassen sagte: ›Fernsehen macht kluge Leute klüger und dumme Leute dümmer‹. Genauso halte ich es mit dem Internet auch (…) ein gutes Instrument, wenn man es klug einsetzt.«
Blick auf die Uhr: Ich habe nun mehr als eine Stunde mit dem Schreiben dieses Posts verbracht. Höchste Zeit, mich wieder meinem Offline-Leben zu widmen. Ich mache jetzt wieder ein paar Tage von meinem »Recht auf Nichterreichbarkeit« Gebrauch. Schönes Wochenende allerseits :)