Eine Bekannte hat mir kürzlich erzählt, ihre Eltern würden in der Kirche ab sofort nichts mehr spenden. Weil die Kollekte ja immer häufiger an Projekte im Ausland gehen würde (»Als wenn es bei uns nicht genug arme Menschen gäbe…«).
Ich habe lange darüber nachgedacht. »Barmherzigkeit« ist schließlich auch eine der sog. »freimaurerischen Meistertugenden«. Kann man hierzulande derzeit wirklich so arm werden, wie momentan bspw. ein syrischer Kriegsflüchtling dran ist? Oder ein Überlebender des Erdbebens in Nepal? Wie ein Mensch, der die halbe Familie verloren hat und nicht weiß, wie er die andere Hälfte durchbringen soll? Dem es sogar am Existentiellen mangelt?
Erst viel später ist mir noch etwas ganz anderes eingefallen: Nämlich, aus welcher Generation die Eltern meiner Bekannten stammen. Aus der Generation, von denen einige womöglich nur deshalb überlebt haben, weil das Mitleid einiger »Ausländer« damals keine Grenzen kannte. Das Mitleid von »Ausländern«, die nach Ende des 2. Weltkriegs trotz deutscher Gräueltaten z. B. CARE-Pakete gepackt und nach Deutschland geschickt haben.
Nein. Auch, wenn einem die eigenen Mitbürger immer näher scheinen, als Menschen jenseits der Grenzen: Leid kann man nicht gegeneinander aufwiegen und Barmherzigkeit sollte keine Grenzen kennen – weder für mich als Mensch christlicher Tradition. Aber erst Recht nicht für mich als Freimaurer. Immerhin lautet doch einer der Schluss-Sätze unseres am weitesten verbreiteten Rituals:
»Kehrt niemals der Not und dem Elend den Rücken.«
Niemals?
Leichter gesagt, als getan!
Und genau deshalb habe ich gestern auch endlich mal wieder meinen inneren Schweinehund überwunden und etwas gespendet.
Über Facebook.
Ins Ausland.
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Wie haltet Ihr’s denn mit der »Barmherzigkeit«? Ich freue mich auf Eure Kommentare!
Übrigens: Auch mein bloggender Mitbruder Rene Schon schreibt gerade auf freimaurergedanken.com über die Meistertugenden – hier geht’s zu seinem Artikel über die Barmherzigkeit.
Inhaltlich gebe ich Dir da recht, Phil, aber der un-übersehbar erhobene Zeigefinger mag mir nicht so recht gefallen.
Wenn die Eltern der Bekannten dieser Meinung sind, aber trotzdem bereit sind zu spenden, nur halt mehr ortsgebunden, dann soll es mir recht sein. Das ist für mich durchaus unter dem Begriff „Barmherzigkeit“ sub-summierbar.
Nicht, dass ich missverstanden werde: Ich freue mich über jeden, der anderen hilft. Aber die Erzählung der Bekannten hat mich dann doch nachdenklich gemacht. Im ersten Moment habe ich nämlich auch erstmal gedacht: »Stimmt doch, es gibt ja auch bei uns genug arme Menschen.« Aber irgendwas daran hat mir dann doch Bauchschmerzen gemacht und mich lange drüber nachdenken lassen. Und was dabei am Ende herausgekommen ist, wollte ich einfach mal mitteilen, mit anderen teilen, in der Hoffnung, auch andere Sichtweisen in Erfahrung zu bringen. In diesem Sinne also: Danke für deine! :) Aber nun würde mich noch interessieren: Welche Formulierungen empfindest du im Text als »erhobenen Zeigefinger« und warum?
Moin!
Vorweg: Ich bin (noch) kein Freimaurer.
Aber auch ich habe den Facebook-Aufruf gesehen.
Und ich habe mich dagegen entschieden, an dieser Stelle eine Spende zu platzieren.
Das größte Problem, das die Rettungskräfte vor Ort grade haben, sind die ruinierten Infrastrukturen, die es nicht gestatten das Flugzeuge in angemessener Frequenz landen, entladen werden können und die Hilfsgüter dann zeitnah verteilt werden.
Und dieses Problem würde meine aktuelle Spende nicht lösen. Das muß schnell, einfach und „elegant“ vor Ort gelöst werden.
Barmherzigkeit ist etwas, daß man wie eine Veranlagung in sich trägt. Gehe ich durch die Stadt und sehe einen armen Menschen auf der Straße sitzen, versuche ich abzuwägen, wie es dazu kommen konnte und ob es tatsächlich eine Hilfe wäre, wenn ich jetzt etwas Geld in Hut oder Büchse werfe. Im Allgemeinen gebe ich dann gerne etwas. Wobei: Niemand sitzt dort gerne – schon gar nicht gerne lange. Also versuche ich großzügig zu sein.
Ich weiß, daß die Menschen in Nepal gegenwärtig auf jede Hilfe angewiesen sind. Wenn ich aber befürchten muß, daß Geld versickert, daß Hilfe nicht sinnvoll ist oder das sie nicht im angemessenen Zeitrahmen geleistet werden kann (wie hier), dann spende ich lieber direkt vor Ort – wo es auch gut tun wird.
Eigentlich ist es fast gleich, wie man es anstellt. Wichtig erscheint mir nur, daß eine Spende aus einem guten Motiv entsteht. Nicht weil es grade hip ist, nicht wegen der steuerlichen Absetzbarkeit und schon gleich gar nicht, um das eigene Gewissen zum Schweigen zu bringen.
Beste Grüße,
Erik Robin
Moin Erik, danke für deine Gedanken. Es heißt ja, man solle bestenfalls bereits Freimaurer sein, bevor man einer wird. Ich finde: Mit deiner Einstellung bist du längst einer – auch wenn du vielleicht (noch) keiner Loge angehörst. :)
…..und diese „Schwangerschaft“ dauert jetzt schon sechs Jahre….! ;-)
Lieber Bruder Phil,
ich kann die Eltern Deiner Bekannten verstehen.
Das von Dir genannte Postulat „Kehret der Not und dem Elend niemals den Rücken“ will ich mit dem Motto des Gesellengrades ergänzen: „Schau um dich“.
Man wird sehr schnell erkennen, dass es in Deutschland kein Elend gibt. Sehr wohl aber Not.
Nehmen wir beispielsweise die Tafeln. Die Menschen, die dort hingehen gehen nicht aus Spaß dort hin. Im Gegenteil. Sie würden ohne diese Einrichtung nicht oder nur sehr schwer über die Runden kommen
Oder aber der Familienvater, der bei einem Brand nicht nur sein Haus verloren hat sondern auch seine Frau und seine beiden Kinder.
Oder aber die Bahnhofsmission, die dringend einen Einkaufstrolley benötigt, sich diesen jedoch auf Grund der finanziellen Situation nicht leisten kann.
Oder…
Ich will es mal mit der Ersten Hilfe vergleichen:
Das schlimmste was man machen kann ist wegsehen anstatt zu helfen. Helfen kann aber jeder.
Helfen gerne immer – aber mit Bedacht. Und wenn, dann möglichst gezielt. Ich denke noch mit Schrecken daran: Haiti: Wie viel Geld ist vor Ort nicht angekommen. Das FHW kannte eine Ärztin, die gezielt helfen konnte. Also, Spende dorthin. Tsunami: Dem Vernehmen nach liegen immer noch große Reste der Hilfsgüter herum. Selbst Clinton, Bush & Co wussten schließlich nicht mehr, wohin mit dem Geld. Andere kleinere Hilfsorganisationen, die gezielter hätten helfen können, wurden bei all dem Hype kaum noch bedacht. Oder, 2009 das Erdbeben, das Aquila in Italien zerstörte. Viel Geld wurde gespendet, von dem die Mafia eine Menge abzweigte – nun ja. Aber dass die ital. Regierung, um ein paar schöne Fotos in Aquila zu bekommen, Knall auf Fall ein für das G 8-Treffen für 360 Mio Euro auf Sardinien völlig neu gebautes Resort einfach liegen ließ und für ein paar zusätzliche zig-Millionen das Treffen überstürzt nach Aquila verlegte, ist wohl niemandem von den braven Spendern so recht aufgefallen. Aber auch Aquila ließ die Regierung dann im Schutt verkommen. Rausgeschmissenes Geld, welches Not und Elend vielfach hätte lindern können. Oder, die große Überschwemmung im Irrawaddy-Delta in Burma. Einen Großteil des Geldes sackte die Regierung ein – vor Ort ankommen tat wenig.
Überhaupt, überall in der Welt, lassen Regierungen ausländische Hilfe häufig nur zu, wenn die Helfer dafür bezahlen, dass sie überhaupt helfen können.
Daher: Erstmal überlegen, was mit dem Geld geschehen könnte, und dann wenn möglich wen Verlässliches suchen, der dafür sorgt, dass die Spende möglichst zu 100% auch an der richtigen Stelle landet und das Richtige bewirkt.
Überall in der Welt gibt es Freimaurerlogen. Fragt mal beim FHW, die haben in vielen Fällen Erfahrung. Ebenso die Rotarier und Lions. Oder jetzt wegen Nepal die „Sir Edmund Hillary Stiftung Deutschland eV“. Die haben dort schon lauter Projekte laufen und kennen sich aus.
Tut mir leid, Geld für einen guten Zweck zu geben, kann manchmal etwas mühselig sein. Aber das Feedback, dass es wirklich etwas bewirkt hat, gleicht das alle Mal aus.
Sehr geehrter Herr Militz,
wenn ich Ihren Beitrag und den Ihres Blog-Kollegen Masoneria lese, habe ich den Eindruck, dass hier die Begriffe „Empathie“, „Mitgefühl“, „Hilfsbereitschaft“ und „Barmherzigkeit“ deckungsgleich verwendet werden.
Meiner Meinung nach sind sie das jedoch keinesfalls. Ich persönlich sehe deutliche Unterschiede:
„Empathie“ ist das „Einfühlen“ in einen anderen Menschen. Dabei versuche ich zu erkennen, welche Gefühle hinter seinen Äußerungen stecken, vor allem, wenn sie nicht klar geäußert werden; eine Art „Ich höre was, was du nicht sagst“. Es bedeutet weder, dass ich diese Gefühle teile, noch dass mir der Mensch sympathisch ist.
„Mitgefühl“ bedeutet hingegen, dass ich mit ihm „mit-fühle“, sein Gefühl also teile. Das kann bei Trauer der Fall sein, wenn mich der Tod eines Menschen ebenfalls traurig macht. Auch Fröhlichkeit teilen wir oft mit anderen.
„Hilfsbereitschaft“ ist etwas ganz anderes. Die Bereitschaft zu helfen gehört schon fast zu unserer menschlichen Grundausstattung an Bedürfnissen (etwas Sinnvolles tun, Beitrag leisten usw.). Es ist also kein Gefühl, denn Bedürfnisse sind keine Gefühle.
„Barmherzigkeit“ geht in meinen Augen über die Hilfsbereitschaft weit hinaus. Der Barmherzige leistet Hilfe und nimmt dafür eigene Einschränkungen in Kauf. Er tut also etwas, was man üblicherweise nicht tun würde. Da Sie das Christentum erwähnten, sei hier auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter verwiesen. Er unterbricht seinen Weg anstatt weiterzureiten, setzt den Verletzten auf seinen Esel und geht selbst zu Fuß, mietet ihn in einer Herberge ein und bezahlt dafür und kehrt später zurück, um sich nach dem Fortgang des Geschehens zu erkundigen. Dies geht weit über Türaufhalten oder steuerlich absetzbare Geldspenden hinaus. Barmherzig ist für mich, wer auf etwas verzichtet, um anderen zu helfen. Dafür liegt idR eine besondere Notlage vor, zeigt doch das Wort „erbärmlich“ an, dass sich hier etwas am unteren Rand des Erträglichen abspielt.
Wie ich persönlich es halte?
Hilfsbereitschaft geht immer, an der Empathie übe ich noch. Ansonsten verzichte ich auf manches. Ich habe z. B. kein iPhone, dafür aber ein Patenkind in Äthiopien. Für 40,- Euro im Monat bekommt die ganze Familie Essen, das Kind wird gekleidet, medizinisch versorgt, erhält Schulbildung inkl. Ausstattung und zusätzlich werden Projekte im Dorf wie Brunnenbauten unterstützt. Kann sich die Dorfgemeinschaft selbst versorgen, zieht sich die Hilfsorga zurück und der Pate bekommt anderswo ein neues Patenkind.
Für den Preis eines nagelneuen iPhones kann also in Afrika eine Familie zwei Jahre lang überleben. Da reicht mir doch ein Prepaid-Handy. Das erreicht im Notfall die Rettungsleitstelle genauso gut.