WhatsAppstinenz statt BuchstabN-WuRstfingrsalat – Mäßigkeit als Meistertugend

Whatsappstinent

Ich war die meisten Jahre meines bisherigen Arbeitslebens ein Mensch der glaubte, immer und überall erreichbar sein zu müssen. Ich war »der Handyman« (und wurde oft auch so genannt).

Wie wichtig es ist, auch mal abschalten zu können, habe ich eigentlich erst durch die Freimaurerei gelernt:

Erst hatte ich Bauchschmerzen, wenn der Zeremonienmeister auch mich vor einer rituellen Zusammenkunft aufgefordert hat, mal für eine Stunde das Handy auszuschalten. Aber irgendwann hatte ich dann seltsamerweise Bauchschmerzen, wenn ich’s wieder einschalten musste. Das hat mich gewundert. Und mir gezeigt, dass ich das Abschalten offenbar dringend nötig hatte und bei mir über die Jahre als »Handyman« irgendwas aus dem Gleichgewicht, in Schieflage geraten war. Jedenfalls sprang mir irgendwie die Winkelwaage als freimaurerisches Symbol plötzlich besonders ins Auge. Also habe ich gedacht: Musst du wohl dringend wieder was gerade rücken, maßvoller in puncto Erreichbarkeit sein.

Der erste Schritt war für mich, das Handy nach den rituellen Arbeiten den Abend über abgeschaltet zu lassen und es erst am nächsten Morgen wieder einzuschalten. Und als ich nach einiger Zeit gemerkt habe, dass die Welt davon nicht unter und die Sonne auch am nächsten Morgen wieder aufgeht, wenn ich mich nach Feierabend häufiger mal ausklinke (der zweite Schritt), habe ich irgendwann sogar das Wochenende als Handy-Aus-Auszeit dazu genommen (der dritte Schritt). Abschalten ist durch die Freimaurerei für mich zum Ritual geworden, mit dem ich erst das freimaurerische Ritual vom Alltag und danach die Freizeit besser vom Berufsleben abgrenzen konnte.

Positiv: Stressbedingte Blutdruckprobleme haben sich relativiert, ich bin deutlich entspannter, erlebe die knappe Zeit mit Freunden und Familie achtsamer und intensiver, ohne ständig abgelenkt zu sein.

Nebenwirkung: Nach dem Wochenende erwartet mich montags meist eine kleine Nachrichten-Flut. Vor allem, seit ich WhatsApp nutze. Irgendwie bin ich eine gefühlte Ewigkeit damit beschäftigt, mühselig Nachrichten übers Smartphone zu beantworten, die ich per Mail via Computer wesentlich schneller beantworten könnte – dieses Rumgewurschtel auf den kleinen iPhone-Tasten ist echt kein Vergnügen, sondern meist ein gewaltiger Haufen BuChstabeNwuRstfingrsalat.

Ich habe also nach dem letzten Wochenende mit der freimaurerischen Zahl von 3x3x3 aufgelaufenen WhatsApps (SMS, Mails und Anrufbeantworter-Nachrichten lassen wir mal außen vor) beschlossen, wieder mal die Winkelwaage bei mir anzulegen, um etwas ins Gleichgewicht zu bringen: Weniger Kanäle = mehr Lebensqualität.

Ich bin jetzt ab sofort wieder WhatsAppstinent.

Und wie macht ihr’s?

3 Antworten auf „WhatsAppstinenz statt BuchstabN-WuRstfingrsalat – Mäßigkeit als Meistertugend“

  1. Ich finde es wichtig, was du schreibst. Und würde noch zwei Dinge hinzufügen. Ich finde es auch eine gute Übung, zu lernen, nicht ans Telefon zu gehen, weil man gerade nicht will oder mit anderen Dingen beschäftigt ist. Und auch finde ich es eine gute Übung, das Handy irgendwo liegen zu lassen (z.B. im Haus, wenn man im Garten ist) und sich nicht darum zu kümmern, wo es sein könnte, weil man es gerade nicht braucht.

  2. Mein lieber Br. Philip

    Gerade heute war ich wegen stressbedingten Blutdruckproblemen beim Arzt und kann deine Zeilen total gut nachvollziehen. Seit 7 Jahre ohne Ferien durcharbeiten und den SMS- und WhatsApp-Stau kenne ich bestens. Du hast nicht nur recht, sondern man sollte es dir nachtun.

    Besonders deshalb weil mir mal mal das iPhone in der Hosentasche losging als ich als einer von drei Darstellern auf der Bühne (anlässlich unserer Jahresendfeier 2012 mit Schwestern – ca. 60 Personen – verbunden mit der 100-Jahrfeier unserer Loge Sapere Aude ) präsentierte. Wir waren als Mönche verkleidet und konnte deshalb das Gerät von aussen nicht packen. Ich musste – peinlich, peinlich – aus dem Saal und das klingelde Gerät hervorholen… Als ich wieder reinkam liess sich die Saaltüre nicht schliessen – nochmals peinlich – und hatte keine Ahnung ob ich in den Text und das Stück zurückfinde. Puls über 200 und überzeugt den Abend verdorben zu haben, habe ich des Rest dann irgendwie abgespult. Mein Riesenglück: Die Mönche stellten die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft dar. Ich war die «Zukunft». Ein Grossteil des Publikums dachte, das meine hektische Flucht mit klingelddem Handy zum Stück gehörte…

    Inzwischen zum Redner der Loge avanciert, stelle ich das Gerät schon vor dem Gebäude ab. Den Rest muss ich dann noch von dir lernen.

    Lieben Gruss, dein Br. Ansgar

  3. Lieber Br. Philip,

    Dein sehr persönlicher Kommentar zeigt, wie wichtig ein bewusster Umgang mit den „Neuen Medien“ ist. Aus meiner Praxis heraus weiß ich, welche bittere Konsequenzen das „All-Erreichbarsein – Wollen und / oder – Müssen“ haben können. Vielen ist nicht mehr bewusst, dass sie ein Recht auf Nichterreichbarkeit haben. Dein Bezug zur Waage ist ein gutes Bild. Es fordert uns nicht nur zur Mäßigkeit auf, sondern auch im Gleichgewicht zu bleiben. Im Gleichgewicht der Möglichkeiten, als auch im Gleichgewicht mit mir selbst. Und das heißt eben auch Handy, Laptop, Telefon mal auszuschalten. Diese Welt gab es bereits vor diesen technischen Spielereien und die Menschen haben gelebt und sind nicht wegen Unerreichbarkeit unsichtbar geworden.
    Ein schöner und notweniger Anstoß von Dir. Danke.
    Brdl. Gruß entsendet Br. Thomas

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